PDF/UA mit LibreOffice
Ich spezialisiere mich auf Web-Barrierefreiheit, richte aber natürlich auch den Blick auf artverwandte Bereiche: So ist der Themenbereich der barrierefreien Dokumente einerseits gleichzeitig im Kosmos „digitale Barrierefreiheit“ anzusiedeln, arbeitet deswegen auch andererseits mit einer Auszeichnungssprache (ähnlich HTML). Wenn man z. B. Überschriften die Meta-Information gibt, dass sie a) eine Überschrift ist und b) ein bestimmte Ebene (vergleichbar mit <h1>
, <h2>
und so weiter) hat, kommt einem das als HTML-Kennender durchaus bekannt vor. Im PDF-Zusammenhang wird das Verteilen von Metainformationen „Tagging“ genannt.
PDF-Tagging
Einige Programme können getaggte PDFs erstellen: Unter anderem bieten Microsoft Word, Apple Pages und Open Office Writer von Haus aus die Möglichkeit, getaggte PDFs zu erstellen, wenn man mit den Formatvorlagen arbeitet. „Formatvorlage“ ist hier meiner Meinung nach ein leicht irreführender Begriff, denn er suggeriert, es ginge nur um die Optik z. B. eines Stück Textes, einer Liste oder einer Tabelle. Dabei bieten mindestens die genannten Programme auch die Möglichkeit, Formatvorlagen mit semantischen Informationen auszustatten.
Meiner Meinung nach sind die Einstellungsmöglichkeiten in diesen Formatvorlagen viel zu sehr in Untermenüs versteckt – man muss aktiv nach ihnen suchen, während Einstellmöglichkeiten bezüglich der Optik beispielsweise eines Absatzes sofort und offensichtlich angeboten werden. Da ich auch im Web häufig eine Konzentration darauf sehe, wie etwas aussieht anstelle von was etwas ist (also die Bedeutungs-Ebene eines bestimmten Teil eines Dokuments betont), halte ich diese scheinbare Priorisierung für schwierig und das Problem einer fehlenden Semantik im Digitalen nur verfestigend.
PDF/UA
Neben diesen Tags, natürlich den Regeln von Wahrnehmbarkeit, Alternativinhalten etc. müssen barrierefreie PDFs aber vor allem laut BITV §3 Absatz 3 dem Stand der Technik entsprechen. Konkret hat sich der Öffentliche Sektor der EU an Europäische Norm (EN) 301 549, Abschnitt 10 (Nicht-Web-Dokumente), zu halten, was für viele die Erfüllung der WCAG 2.1 AA im PDF-Kontext bedeutet. Leisten kann dies der Standard PDF/UA, wobei „UA“ für „Universal Accessibility“, also universelle Zugänglichkeit steht. Kurz zusammengefasst: Zugängliche PDF-Dokumente müssen allen (anwendbaren) WCAG-Regeln der digitalen Barrierefreiheit folgen und sollten zusätzlich noch eine Meta-Info tragen, dass sie dem PDF-UA-Standard entsprechen.
Der Standard PDF/UA versucht, die allgemein formulierten Anforderungen der WCAG 2.1 auf PDF-Techniken zu übertragen und stellt dabei zumindest die technische Zugänglichkeit für assistive Technologien (zum Beispiel einem Screenreader) sicher.
Quelle: Bundesfachstelle Barrierefreiheit
Das war der Punkt, an dem meine kleine Recherche begann: Zuerst merkte ich, dass getaggte PDFs nicht automatisch PDF/UA erfüllen und man mit den oben genannten Programmen nicht ohne Erweiterung solche erzeugen kann. Auf den ersten Blick wirkte das auf mich leicht absurd: Man muss also Geld an die Hand nehmen, ein Produkt von Adobe oder Axes4 kaufen, um eine nicht de-jure, aber de-facto PDF-Vorgabe der BITV (und entsprechenden Ländergesetzen) zu erfüllen (auch wenn man, zumindest meiner Meinung nach, einen Großteil des Weges durch Tagging, Dokumententitel, Kontraste, Verständlichkeit und Alternativinhalte) zurück gelegt hat?
Ich äußerte meine Irritation dahingehend auf Mastodon und bekam eine Antwort, die mir einen zweiten Blick auf die Lage ermöglichte: Ein PDF/UA-Export ist im übrigens kostenlosen LibreOffice möglich, und das neben Dokumenten-Barrierefreiheits-Standard-Features wie Tagging und Alternativinhalten.
Inzwischen habe ich gelernt, dass diese Entwicklungen im LibreOffice-Projekt noch recht neu sind und wohl mindestens in Teilen auf die Initiative des Landes Schleswig-Holstein (siehe weiterführende Links) zurückgehen, die einerseits PDF/UA- und WCAG-konforme PDF-Erstellungen empfiehlt, linkt auf PDF(!), andererseits sich - wie ich hörte - von Microsofts Office Suite wegbewegen will.
Fazit
Die PDF/UA- und Tagging-Features, die LibreOffice aktuell bietet, sind weder vollständig noch fehlerfrei. Aber für meine Ansprüche (Überschriften, Listen und Tabellen richtig taggen, ein PDF/UA daraus erzeugen) genügen sie allemal. Für höhere Ansprüche und tiefergehende Bearbeitung und z. B. eine Integration in Word kommt man wohl nicht umhin, zu Adobe oder Axes4-Produkten zu greifen (und ich will diesen Beitrag auch nicht als Angriff auf diese verstanden wissen!). Aber die PDF-Export-Optionen von LibreOffice scheinen zu wachsen und gedeihen (ich möchte hiermit noch auf den tollen Barrierefreiheitscheck bei Export hinweisen (englisch)) und ich finde, dass von der PDF/UA-Export-Funktion von LibreOffice viel mehr Menschen wissen sollten. Leute, die keine PDF-Barrierefreiheits-Remediation betreiben, mit komplexen Dokumenten konfrontiert sind und im Gegenteil ein simples Dokument ohne großes Investment schlicht als PDF/UA exportieren wollen.
Das kann ich (u.a.) für Sie tun
Interesse geweckt?
Sie haben ein Projekt, bei dem ich weiterhelfen kann?